B. Spielmann: 200 Jahre Stadtmusik Bern

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Titel
200 Jahre Stadtmusik Bern. Vereinsgeschichte 1816 – 2016


Autor(en)
Spielmann, Benjamin
Erschienen
Bern 2016: Selbstverlag
von
Achim Hofer

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der Stadtmusik Bern. Dies begründet, warum der eigentliche Textteil nur etwa 70 (von 103) Seiten umfasst. Zu einer Festschrift passend, findet sich einleitend eine Grussrede des Stadtpräsidenten. Nach dem Vorwort des Verfassers bilden Kapitel 1 Geschichte der Stadtmusik Bern von 1816 bis 2016 und Kapitel 2 Drei neue alte Herausforderungen die Hauptteile des Buches. Die Auflistung der verwendeten Materialien als Kapitel 3 irritiert etwas, zumal an dieser Stelle. Es folgen Kapitel 4 Stimmen aus dem Verein und 5 Anhang: Tabellarische Informationen, zunächst geschichtlicher Art (Dirigenten seit 1896, Teilnahme an eidgenössischen Musikfesten, Anzahl von Proben, Auftritten und Aktiven), sodann aktuelle, mit Farbfotos versehene Informationen zum Jubiläumsjahr (Vorstand, Galakonzert, Ehrenmitglieder).

Die Geschichte der Stadtmusik Bern ist im ersten Kapitel äusserst fakten- und facettenreich sowie gut lesbar beschrieben. Ab 1816 war die Stadtmusik zunächst eine «Garnisonsmusik». Mitglieder daraus gründeten separat 1864 die «Harmonie», um «freier» Musik machen zu können. Diese Harmonie vereinigte sich 1877 mit einer anderen, 1866 entstandenen Kapelle zur «Harmonie-Schnurratia». Deren geplante Fusion mit der – zuvor kaum mehr aktiven – Garnisonsmusik wurde 1885 von den Behörden untersagt, nicht aber, die Instrumente der Militärmusik zu benutzen und die Bezeichnung «Stadtmusik Bern» zu führen mit der Verpflichtung, bei öffentlichen und offiziellen Anlässen zu spielen. 1896 fusionierte schliesslich die Stadtmusik Bern (als die «alte Stadtmusik») mit der Militärkapelle zur «neuen Stadtmusik». Die Stadtmusik Bern in ihrer heutigen, zivilen und mit Amateurmusikern besetzten Form ist also aus 1896 beendeten Zusammenschlüssen verschiedener Formationen hervorgegangen.

Die Jahre 1912 bis 1970 sind überschrieben mit «Goldene Zeiten». Unter Carl Friedemann entwickelte sich die Stadtmusik «zu einem national und international wahrgenommenen, eigenständigen und selbstbewussten Musikkorps» (S. 27). Nachfolger Stephan Jaeggi, der erste einheimische Dirigent, formte aus der Stadtmusik einen «sinfonischen Klangkörper» und war damit nach aussen sehr erfolgreich; wenig ist jedoch bekannt, wie er vereinsintern mit seinen immensen Erwartungen an die Spieler aufgenommen wurde. Spielmann scheut sich nicht, die ab 1970 einsetzenden «Zeiten der Krisen» (S. 41) deutlich beim Namen zu nennen. Zwar waren die 1970er-Jahre die bis heute problematischsten, gab es doch allein 1973 drei verschiedene Dirigenten. Aber auch die unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen (z.B. Freizeitverhalten) entstehenden Fragen sind bis heute immer neu zu verhandeln: Bedeutung von Marschmusik versus Konzerte, Spass und Freude an der Musik versus musikalischen Anspruch, Anwesenheitspflicht bei den Proben, Verpflichtung zum Üben zu Hause, Eignungstests, Bedeutung des Vereinslebens, Einkauf von Aushilfsmusikern, Selbsteinstufung als Höchst- oder Stärkeklasse, Anzahl der Proben und Auftritte, generelle Ausrichtung als Amateurblasorchester usw. Im zweiten Kapitel widmet sich der Autor dezidiert drei bis heute akuten Herausforderungen: Absenzen und Üben, Finanzen und Subventionen, Nachwuchs und Neumitglieder.

Spielmanns Blick, mit dem er die Höhen und Tiefen der letzten Jahrzehnte schildert, ist sehr nahe an der Basis. Die insgesamt positive Entwicklung der letzten 15 Jahre verdankt sich veränderten Umgangsformen (Diskussionskultur, Mitgliederbefragungen) ebenso wie der Bereitschaft zu Innovationen durch Workshops, Bildung von Kleinformationen, Mitwirkung von Tänzern und Solisten, Zusammenarbeit mit anderen Organisationen usw.

Dass im vierten Kapitel auch Vereinsmitglieder zu Wort kommen (darunter zwei Spielerinnen als Vertreter der jüngeren Generation), ist dem Charakter einer Festschrift angemessen und ermöglicht – ausschnitthaft – einen direkten Blick «nach innen» (was ist gut / macht Spass / wäre zu verbessern usw.). Die Auswahl der Spielerinnen entschädigt für den leicht vernachlässigten Gender-Aspekt (die erste Frau trat immerhin bereits 1963 der Stadtmusik bei). Während der Dirigent auf der Fotografie von S. 46 namentlich genannt wird, heisst es zu derjenigen von S. 54 nur «Die Stadtmusik […] unter weiblicher musikalischer Leitung».

Sicherlich wäre es, auch um jüngere Menschen bzw. Frauen anzusprechen, hilfreich gewesen, die im Textteil erkennbare Innovationsfreude des Orchesters auch optisch auf der Titelseite in Erscheinung treten zu lassen. Stattdessen ziert sie ein Bild der «Stadtmusik Bern» – nur in Uniform marschierende Männer – in Anlehnung an eine Foto aus dem Jahr 1935, worin man die Bestätigung eines Satzes des Stadtpräsidenten in seiner Grussrede (S. 4) sehen könnte: «Blasmusik verbindet man allgemein nicht als erstes mit Innovationsfreude und Mut. Blasmusik wird eher in die Ecke der Traditionalisten gestellt.»

Zum Glück hat sich die durch das Titelblatt hervorgerufene Befürchtung des Rezensenten, es mit einer der üblichen konservativen Festschriften zu tun zu haben, in denen mit vielen Anekdoten und Histörchen vor allem herausgestellt wird, wie schön doch immer alles war, nicht erfüllt. Dem Verfasser ist hier wirklich eine «etwas andere» Festschrift gelungen; sie sollte Schule machen. Als Historiker weiss er zu differenzieren. Dass er gleichzeitig Mitglied der Stadtmusik ist, führt nicht zu mangelnder Distanz. Zweifellos war es keine leichte Aufgabe, mit einer Festschrift «ein interessiertes Laienpublikum wie auch Fachkreise» anzusprechen (S. 6) und darüber hinaus eine Balance zu finden zwischen dem kritischen Blick hinter die Kulissen und den «Sternstunden, welche die Geschichte des Vereins zieren und worauf die Stadtmusik stolz sein kann» (S. 5). Diese Gratwanderung ist dem Autor gut gelungen.

Zitierweise:
Achim Hofer: Rezension zu: Spielmann, Benjamin: 200 Jahre Stadtmusik Bern. Vereinsgeschichte 1816 – 2016. Bern 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 51-53.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 51-53.

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